Homeoffice ist nicht das Problem – sondern das Symptom

Homeoffice polarisiert. Ich spreche hier auch gerne vom Homeoffice Symptom. Die einen feiern es als Befreiungsschlag, die anderen empfinden es als Kontrollverlust. Und mittendrin sitzen Führungskräfte, die zunehmend spüren: Irgendetwas läuft nicht rund – aber was genau ist es eigentlich? Oft wird schnell an der Oberfläche geschraubt – neue Regeln, mehr Kontrolle, weniger Spielraum. Doch die eigentlichen Ursachen bleiben im Verborgenen.


Beobachtung aus der Praxis

In einem Gespräch mit einer Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens zeigte sich dieses Thema in all seiner Komplexität. Ihre Unzufriedenheit richtete sich zunächst gegen die geltenden Homeoffice-Regelungen: zu viele Ausnahmen, zu viel Beliebigkeit, zu wenig Struktur. Auf den ersten Blick schien die Lösung naheliegend – strengere Regeln, einheitliche Vorgaben, weniger Flexibilität.

Doch im Verlauf des Gesprächs wurde deutlich: Es geht nicht nur um Homeoffice. Es geht um Zusammenarbeit, Verlässlichkeit, Einarbeitung, Unternehmenskultur – und um das stille Gefühl, dass etwas verloren geht, wenn jeder nur noch für sich arbeitet. Neue Mitarbeitende werden nur noch von den wenigen vor Ort Anwesenden eingearbeitet, spontane Absprachen entfallen, die Identifikation mit dem Team bröckelt. All das erzeugt Spannungen, die sich leicht auf die Arbeitsform projizieren lassen.


Klarheit beginnt mit dem richtigen Blick

Die naheliegende Reaktion: „Wir brauchen eine neue Regelung. Maximal zwei Tage Homeoffice pro Woche.“ Doch bevor man solche Vorgaben einführt, lohnt sich ein Perspektivwechsel. Denn was soll diese Regelung tatsächlich verbessern? Ist Homeoffice wirklich die Ursache – oder eher der Auslöser für sichtbar gewordene Spannungen?

Wenn Führungskräfte verstehen, dass solche Symptome wie Homeoffice nur Ausdruck tieferliegender Dynamiken sind, eröffnet sich ein neuer Raum für echte Entwicklung. 

In solchen Fällen arbeite ich mit einem strukturierten Dreischritt:

1. Erkennen – Was genau stört uns?
Welche Situationen erzeugen Frust? Wo treten Reibungsverluste auf? Sind es Kommunikationsprobleme, unklare Absprachen, fehlende Verbindlichkeit, Überlastung einzelner Personen oder kulturelle Brüche?

2. Verstehen – Warum stört uns das?
Geht es um ein Werte-Missverständnis? Mangelnde Präsenz? Fehlende Abstimmungen? Oder steckt ein tieferes Bedürfnis nach Orientierung, Zugehörigkeit oder Sicherheit dahinter? Erst durch ein gemeinsames Nachdenken entstehen tragfähige Hypothesen, auf denen man Veränderungen bauen kann.

3. Anwenden – Was bringt wirklich Veränderung?
Sobald klar ist, was genau das eigentliche Problem ist, kann gezielt daran gearbeitet werden. Die Lösung muss nicht zwingend eine Homeoffice-Regelung sein – vielleicht braucht es neue Onboarding-Prozesse, klare Kommunikationsrituale, eine gelebte Teamcharta oder einfach wieder mehr bewusste gemeinsame Zeit im Büro. Manchmal reicht ein regelmäßiger Präsenz-Tag, manchmal braucht es mehr strukturelle Klarheit, manchmal schlicht: Gespräch und Aufmerksamkeit.


Führung bedeutet, die richtigen Fragen zu stellen

Homeoffice ist nur der sichtbare Teil der Veränderung. Die eigentliche Herausforderung liegt tiefer – im Miteinander, in der Kultur und in der Frage, wie Führung Vertrauen, Klarheit und Zusammenarbeit fördert. Führung heißt heute weniger Regeln machen, als vielmehr zuhören, übersetzen, ermöglichen. Es braucht die Bereitschaft, Widersprüche auszuhalten, Spannungen sichtbar zu machen und gemeinsam nach gangbaren Wegen zu suchen.

Wer wirksam führen will, muss bereit sein, genau hinzuhören, gezielt zu fragen und gemeinsam mit dem Team herauszufinden: Was brauchen wir wirklich, um gut zusammenzuarbeiten? Und was hält uns heute davon ab?

Denn nicht das Homeoffice ist das Problem. Sondern das, was es sichtbar macht.


Einladung zur Reflexion

Welche Themen in Ihrer Zusammenarbeit liegen unter der Oberfläche? Was zeigt sich durch Homeoffice, was vorher verborgen war? Welche Verhaltensmuster oder Strukturen wurden durch die neue Arbeitsform entlarvt – und was könnten erste Schritte zur Veränderung sein?

Führung beginnt mit Wahrnehmung. Vielleicht ist Homeoffice Ihre Einladung, genauer hinzuschauen.