Konfliktstufen nach Glasl erkennen: Praxiswissen für Führungskräfte
Wenn ein kleiner Funke einen Großbrand entfacht
In einem meiner letzten Workshops schilderte eine Teilnehmerin, wie ein zunächst harmloser Konflikt zwischen zwei Mitarbeitenden nach kurzer Zeit das gesamte Team lähmte. Warnsignale wie eine plötzliche Zurückhaltung in der Kommunikation oder ungewohnte Spannungen während der Teammeetings wurden übersehen – und die Situation eskalierte immer weiter.
Solche Situationen sind keine Seltenheit. Gerade deshalb ist es entscheidend, Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu verstehen, wie sie sich entwickeln können. Das Modell der Konfliktstufen nach Friedrich Glasl bietet Führungskräften genau hierfür eine praxiserprobte Orientierung. Wer die Dynamik hinter Konflikten kennt, kann nicht nur deeskalierend wirken, sondern im besten Fall Konflikte als Entwicklungschancen für das Team nutzen.
Wer war Friedrich Glasl?
Friedrich Glasl ist ein österreichischer Konfliktforscher und Organisationsberater. In den 1980er-Jahren entwickelte er das Modell der Eskalationsstufen, basierend auf seiner langjährigen praktischen Erfahrung in Unternehmen und öffentlichen Organisationen. Sein Ziel war es, Führungskräften ein praxisnahes Instrument an die Hand zu geben, mit dem sie Konflikte besser einschätzen und frühzeitig intervenieren können – bevor sie unkontrollierbar werden.
Was sind die Konfliktstufen nach Glasl?
Friedrich Glasl beschreibt in seinem Modell neun Eskalationsstufen, die Führungskräften helfen, Konflikte besser einzuschätzen:
Die Einteilung in Win-Win-, Win-Lose- und Lose-Lose-Stufen hilft dabei, das Potenzial und die Gefahren eines Konflikts realistisch einzuordnen. Sie ermöglicht frühzeitig zu erkennen, ob ein Konflikt noch lösungsorientiert geführt werden kann – oder ob bereits ein destruktives Verhalten überwiegt und eine externe Intervention notwendig wird.
Win-Win-Stufen
- Verhärtung – Erste Spannungen werden wahrgenommen, es besteht noch Dialogbereitschaft.
- Polarisierung und Debatte – Positionen verhärten sich, Diskussionen werden emotionaler.
- Taten statt Worte – Es folgt ein zunehmendes Misstrauen, offene Kommunikation nimmt ab. Erste indirekte Aktionen ersetzen Gespräche.
Win-Lose-Stufen
- Images und Koalitionen – Parteien suchen Verbündete, Lagerbildung beginnt. Es geht zunehmend um Rechtfertigung vor Dritten.
- Gesichtsverlust – Öffentliche Angriffe und Demütigungen treten auf. Der Konflikt wird persönlich.
- Drohstrategien – Drohungen und Gegendrohungen dominieren den Konflikt. Die Beziehung zwischen den Parteien ist massiv belastet.
Lose-Lose-Stufen
- Begrenzte Vernichtungsschläge – Schaden des Gegners wird bewusst einkalkuliert. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern um Bestrafung.
- Zersplitterung – Ziel ist die nachhaltige Schädigung des Gegners. Die Handlungen sind destruktiv, irrational.
- Gemeinsam in den Abgrund – Selbstzerstörung wird in Kauf genommen, um den Gegner zu schädigen. Der Konflikt hat jegliche Kontrolle verloren.
Diese Eskalationsstufen sind nicht nur theoretisches Wissen – sie zeigen, wie sich Konflikte im Führungsalltag konkret entfalten können. Ein fundiertes Verständnis dieser Dynamiken hilft Ihnen, nicht erst auf Stufe 6 oder 7 aktiv zu werden, sondern frühzeitig gegenzusteuern.
Warum Eskalation oft übersehen wird
In meiner Arbeit beobachte ich häufig, dass Führungskräfte erste Konfliktanzeichen nicht ernst genug nehmen. Gründe dafür können sein:
- Mangelndes Bewusstsein für subtile Signale
- Angst, Probleme offen anzusprechen
- Zeitdruck und Prioritätenverschiebung
- Die Hoffnung, der Konflikt werde sich von selbst lösen
- Fehlendes Know-how im Umgang mit zwischenmenschlichen Spannungen
Dabei sind es oft kleine Gesten, unausgesprochene Spannungen oder Ironie in der Kommunikation, die auf eine beginnende Eskalation hinweisen. Wer lernt, diese Anzeichen zu deuten, kann rechtzeitig gegensteuern, bevor der Konflikt das Teamklima dauerhaft belastet.
Praxisfall aus meinem Coaching
Ein Abteilungsleiter bemerkte erst spät, dass sich zwei Teammitglieder gegenseitig aktiv sabotierten (Stufe 4 bis 5 nach Glasl). Durch gezielte Moderation, systematische Einzelgespräche sowie die gemeinsame Erarbeitung klarer Verhaltensregeln und Vereinbarungen gelang es ihm, Vertrauen wiederherzustellen. Er setzte dabei insbesondere auf Techniken wie aktives Zuhören, neutrale Vermittlung und die bewusste Trennung von Sach- und Beziehungsebene.
Zusätzlich führte er regelmäßig kurze Reflexionsrunden im Team ein, in denen jeder offen benennen konnte, was aktuell belastet – ohne dass es gleich zu Schuldzuweisungen kam. So entwickelte sich nach und nach eine neue Gesprächskultur.
Fragen zur Selbstreflexion
- Welche typischen Anzeichen eines Konflikts habe ich in der Vergangenheit übersehen, und welche Auswirkungen hatte dies auf mein Team oder einzelne Mitarbeitende?
- Welche Konfliktstufe(n) finde ich am schwierigsten zu erkennen – und warum?
- Wie sicher fühle ich mich, frühzeitig auf Konflikte zu reagieren?
- Habe ich bereits eine Gesprächsstrategie parat, wenn ich in einem Konflikt vermitteln muss?
- Welche Rolle spielt meine eigene Haltung gegenüber Konflikten für die Dynamik im Team?
Praktische Tipps für Führungskräfte
- Regelmäßige Einzelgespräche: Sorgen Sie für einen kontinuierlichen Dialog, um Konflikte frühzeitig wahrzunehmen. Beispiel: Ein monatliches 1:1-Gespräch, in dem auch zwischenmenschliche Themen Platz finden. Oft genügt schon die gezielte Frage: „Wie läuft es gerade mit deinen Kolleg:innen?“
- Teambesprechungen nutzen: Ermutigen Sie offene Kommunikation über Spannungen und Konflikte. Beispiel: Ein Team, das ich begleitet habe, führte einen wöchentlichen Wochenstart ein. Neben der gemeinsamen Planung von Aufgaben wurde gezielt Raum geschaffen für die Reflexion: „Was hat mich letzte Woche zwischenmenschlich beschäftigt, und wie sollte es in dieser Woche besser laufen?“
- Training und Coaching: Bilden Sie sich und Ihre Mitarbeitenden regelmäßig im Umgang mit Konflikten weiter. Beispiel: In einem mittelständischen Unternehmen haben wir gemeinsam ein maßgeschneidertes Konfliktmanagement-Programm entwickelt. Dabei gab es halbjährliche Impulsworkshops zur Konfliktprävention, ergänzt durch persönliche Coachings für Führungskräfte. In einem Fall führte dies dazu, dass ein lang schwelender Konflikt zwischen zwei Fachbereichen mit Hilfe eines moderierten Teamdialogs nachhaltig gelöst wurde.
- Reflexion fördern: Geben Sie Ihrem Team regelmäßig Raum zur Selbstbeobachtung. Beispiel: Einige Führungskräfte nutzen gezielt die letzten zehn Minuten eines Meetings für eine Blitzrunde: „Was war heute gut? Was hat gestört?“
- Frühwarnsysteme etablieren: Entwickeln Sie Instrumente zur frühzeitigen Wahrnehmung. Beispiel: In einem Team wurde ein anonymer Online-Stimmungsbarometer eingeführt, bei dem Mitarbeitende regelmäßig ihre aktuelle Teamwahrnehmung einschätzen konnten. Führungskräfte nutzten diese Hinweise, um rechtzeitig Gespräche zu initiieren.
Konfliktstufen kompakt auf einen Blick
Viele Führungskräfte, die ich begleite, wünschen sich ein einfaches, praxisnahes Werkzeug, um sich im Konfliktfall schnell zu orientieren: Was sehe ich gerade? Was ist jetzt noch möglich? Wann brauche ich Unterstützung von außen?
Genau dafür habe ich eine kompakte Übersichtstabelle zu den Konfliktstufen nach Glasl erstellt – mit typischen Anzeichen je Stufe, passenden Handlungsmöglichkeiten und einer Einschätzung zur Interventionsfähigkeit.
Hier können Sie die Tabelle kostenlos als PDF herunterladen:
🔗 Download: Konfliktstufen nach Glasl – Übersicht für Führungskräfte
Nutzen Sie diese Übersicht z. B. zur Vorbereitung auf schwierige Gespräche, zur Teamdiagnose oder zur Selbstreflexion – ein bewährtes Instrument aus meiner Coaching-Praxis.
Fazit
Frühzeitiges Erkennen und Handeln in Konflikten stärkt Ihre Führungskompetenz, fördert die Zusammenarbeit, schützt Ihr Team vor unnötigen Eskalationen – und verbessert langfristig die Teamzufriedenheit sowie die Produktivität. Darüber hinaus zeigt Ihre Konfliktkompetenz, dass Sie Verantwortung für das soziale Klima übernehmen – ein zentraler Erfolgsfaktor für gute Führung in einer zunehmend komplexen Arbeitswelt.
Konfliktfähigkeit ist keine weiche Kompetenz, sondern eine Schlüsselressource für wirksame Führung. Nutzen Sie das Modell von Glasl als Navigationshilfe – und handeln Sie, bevor aus einem kleinen Funken ein Flächenbrand wird.