Resilienz für Führungskräfte: Was der Bambusbaum über innere Stärke und Selbstfürsorge lehrt
Ein Abend unter Führungskräften
Neulich saß ich mit einer Gruppe von Führungskräften beim Abendessen. Viele von ihnen waren jenseits der 50, erfahren, reflektiert und mit beeindruckenden Lebensgeschichten. Und trotzdem zog sich durch die Runde ein gemeinsamer roter Faden: Jeder hatte bereits einmal die Grenzen seiner Belastbarkeit gespürt.
Da war der Kollege mit dem Tinnitus, der einfach nicht verschwinden wollte. Eine andere Führungskraft erzählte offen von einem Burnout und einer Kur, die alles veränderte. Ein weiterer Teilnehmer berichtete von einem beinahe verhängnisvollen Sekundenschlaf auf der Autobahn. Andere nickten zustimmend – sie kannten diese stillen Signale, die der Körper sendet, wenn er nicht mehr kann.
Das waren keine Schwächen. Es waren Warnsignale. Mahnungen des Körpers, dass es Zeit ist, den Blick nach innen zu richten – bevor man den Preis für Überforderung bezahlt.
Wenn der Körper stoppt, beginnt das Lernen
An diesem Abend haben wir uns genau darüber unterhalten: Wie gehen wir eigentlich mit uns selbst um? Wie sorgsam sind wir mit unserer Energie, unserer Gesundheit und unserem inneren Gleichgewicht?
In der Führungsverantwortung stehen viele dauerhaft unter Strom – der Kalender ist voll, die Anforderungen hoch und die Ansprüche an sich selbst oft noch höher. Das Handy ist immer in Reichweite, die Gedanken selten wirklich im Moment. Und doch: Wenn wir dauerhaft nur geben, ohne uns selbst zu nähren, entzieht sich irgendwann die Kraftquelle, aus der wir führen.
Ich habe an diesem Abend gespürt, wie befreiend es sein kann, wenn Führungskräfte einmal nicht über Zahlen, Projekte oder Ergebnisse sprechen, sondern über sich selbst – über Müdigkeit, über Zweifel, über die Kunst, sich Pausen zu erlauben, ohne schlechtes Gewissen.
Der Bambusbaum als Sinnbild für Resilienz
Die Gespräche an diesem Abend haben mich noch lange beschäftigt. Sie erinnerten mich an eine Geschichte, die ich in solchen Momenten gern teile, weil sie zeigt, wie innere Stärke und Geduld zusammenwirken:
Wenn man einen Bambusbaum pflanzt, passiert die ersten fünf Jahre fast nichts. Man gießt, man düngt, man pflegt – und sieht nur Erde. Viele würden aufgeben. Doch im sechsten Jahr schießt der Bambus in wenigen Wochen bis zu 25 Meter in die Höhe.
All die Jahre hat er unsichtbar gearbeitet – Wurzeln gebildet, Stabilität geschaffen, sich vorbereitet, um das Wachstum tragen zu können.
So funktioniert auch Resilienz. Sie ist die innere Widerstandskraft, die uns trägt, wenn es stürmisch wird. Sie entsteht nicht über Nacht, sondern durch bewusste Selbstfürsorge, durch Routinen, die uns stärken, und durch Momente der Achtsamkeit.
Was Resilienz im Führungsalltag bedeutet
Resilienz zeigt sich nicht erst in der Krise. Sie entsteht im Alltag – in der Art, wie wir Pausen gestalten, wie wir Konflikte angehen oder wie wir mit Unsicherheit umgehen.
Führungskräfte mit einer starken inneren Balance strahlen Ruhe aus, auch wenn es turbulent wird. Sie treffen klarere Entscheidungen, weil sie nicht aus Erschöpfung, sondern aus innerer Stabilität handeln. Sie haben gelernt, dass emotionale Selbstführung kein „Soft Skill“ ist, sondern der Schlüssel zu nachhaltiger Leistung.
Manchmal frage ich Teilnehmende meiner Seminare: Wann haben Sie das letzte Mal etwas getan, das nur Ihnen gutgetan hat? Die Antworten sind oft zögerlich. Viele können sich nicht erinnern. Dabei sind genau diese Momente die Wurzeln, die uns tragen, wenn der Sturm kommt.
Resilienz ist wie ein Muskel
Führungskräfte können diesen Muskel im Alltag ganz praktisch trainieren – etwa durch regelmäßige Atempausen zwischen Meetings, kurze Spaziergänge ohne Smartphone, bewusste Reflexionszeiten am Tagesende oder das konsequente Setzen von Prioritäten. Solche Rituale fördern Bewusstheit und stärken die Fähigkeit, in schwierigen Situationen gelassen zu bleiben.
Resilienz ist kein angeborenes Talent, sondern ein Muskel, den wir trainieren können. Jeder bewusste Atemzug, jeder kleine Moment der Ruhe, jedes ehrliche Gespräch mit sich selbst ist ein Trainingsreiz für diesen Muskel.
Wie jeder Muskel braucht auch dieser Pausen, Pflege und regelmäßige Bewegung. Es sind die kleinen, wiederkehrenden Übungen der Selbstreflexion, die langfristig Wirkung zeigen – nicht die großen, einmaligen Veränderungen.
Ein Buch, das diesen Gedanken auf einfache und eindringliche Weise beschreibt, ist Der Minutenmanager von Ken Blanchard (Link zum Buch). Darin geht es unter anderem darum, sich regelmäßig bewusst Zeit zu nehmen – für sich selbst, für Reflexion, für kleine Pausen, die den Unterschied machen.
Diese kurzen Momente der Selbstfürsorge sind kein Luxus, sondern Voraussetzung für langfristige Leistungsfähigkeit und innere Balance. In ihnen liegt die Kraft, alte Muster zu durchbrechen und neue Routinen zu etablieren – Routinen, die nicht nur uns selbst guttun, sondern auch unseren Teams. Denn wer gut für sich sorgt, kann auch für andere besser da sein.
Mein Impuls an Sie
Pflegen Sie Ihre Wurzeln. Achten Sie auf die Zeichen Ihres Körpers. Und erlauben Sie sich, Pausen als Teil von Leistung zu begreifen.
Denn wahre Stärke zeigt sich nicht im Durchhalten um jeden Preis, sondern in der Fähigkeit, rechtzeitig für sich selbst zu sorgen.
Vielleicht ist genau jetzt ein guter Moment, um wieder in Kontakt mit den eigenen Wurzeln zu kommen – und Ihrem inneren Bambus die Zeit zu geben, die er braucht, um zu wachsen.
Abschlussgedanke
Resilienz bedeutet, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – bewusst, regelmäßig und mit Achtsamkeit. Sie ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der uns befähigt, aus Herausforderungen zu wachsen. Wer diese Haltung lebt, entdeckt, dass echte Stärke aus innerer Ruhe und Selbstvertrauen entsteht.
Resilienz beginnt dort, wo wir lernen, Verantwortung nicht nur für Ergebnisse, sondern auch für uns selbst zu übernehmen. Sie ist kein Ziel, sondern eine Haltung. Und wer sie kultiviert, erlebt, dass Gelassenheit, Klarheit und innere Stärke nicht das Ergebnis von Glück, sondern bewusster Selbstführung sind.
