Was blockiert gute Zusammenarbeit?
„Ich mache mein Ding – und Du Deins.“
Ein Satz, der im Alltag zunächst harmlos klingt, aber in vielen Organisationen Ausdruck eines tief verankerten Musters ist: Revierdenken. Während moderne Zusammenarbeit auf Austausch, Ko-Kreation und gegenseitige Unterstützung setzt, erleben viele Führungskräfte stattdessen Abschottung, Grenzverteidigung und stille Konkurrenz. Kooperation bleibt oft ein Lippenbekenntnis – wenn überhaupt.
Doch woher kommt dieses Verhalten? Warum fällt es uns manchmal schwer, gemeinsam zu denken und zu handeln – selbst wenn das Ziel klar und geteilt ist? Und wie gelingt es, dieses Muster bewusst zu durchbrechen?
Revierverhalten – Tief verankert und (teilweise) sinnvoll
Revierdenken ist kein Zufall, sondern evolutionär tief verwurzelt. In komplexen Organisationen kann es sogar kurzfristig nützlich sein: Es sorgt für Ordnung, klare Zuständigkeiten und Verantwortungsübernahme. Wer sein Revier kennt, weiß, wofür er oder sie zuständig ist. Für viele Teams bietet diese Struktur zunächst Orientierung und Halt.
Doch dort, wo starre Grenzen eine echte Zusammenarbeit blockieren, wird aus Ordnung schnell ein Produktivitätskiller. Informationen fließen nicht, Kreativität wird ausgebremst, Mitarbeitende arbeiten nebeneinander statt miteinander.
Führungskräfte stehen hier oft vor einem Dilemma: Sie wünschen sich selbstständige, verantwortungsbewusste Mitarbeitende – aber keine Einzelkämpfer. Sie wollen Teamgeist – aber bitte ohne endlose Abstimmungsschleifen. Sie wünschen sich Initiative – aber eingebettet in das große Ganze.
Was auf dem Papier widerspruchsfrei klingt, ist im Führungsalltag eine echte Herausforderung.
Symptome für Revierdenken
- Wissenshorten: Informationen werden zurückgehalten, statt geteilt.
- Abgrenzung: „Dafür bin ich nicht zuständig.“
- Kooperationsvermeidung: Meetings werden gemieden, Schnittstellenprobleme ignoriert.
- Verteidigungsmodus: Vorschläge von außen werden reflexhaft abgewehrt.
- Territorialverhalten: Zuständigkeiten werden vehement verteidigt – auch wenn es ineffizient ist.
Diese Symptome treten oft subtil auf – über Jahre eingeschliffen und selten bewusst hinterfragt. Umso wichtiger ist es, sie als Signale ernst zu nehmen und nicht vorschnell als persönliche Schwächen zu deuten.
Die wahren Ursachen verstehen
Revierverhalten entsteht meist aus einem Bedürfnis nach Sicherheit, Kontrolle oder Anerkennung. In Umfeldern mit unklaren Zielen, widersprüchlichen Erwartungen oder strukturellen Unsicherheiten schützt man sich lieber selbst. Wer sich nur auf sich selbst verlässt, kann nicht enttäuscht werden.
Hinzu kommt: Viele Mitarbeitende wurden über Jahre für Einzelverantwortung, Fachexpertise und Abgrenzung belohnt. Plötzlich soll das alles anders sein – und das konfliktfrei, teamorientiert und eigenverantwortlich?
Hier entstehen innere Widersprüche, die Menschen verunsichern. Genau darin liegt die Führungsaufgabe: Orientierung geben, Haltung zeigen, Räume schaffen.
Führung als Kulturgestalterin
Kooperationskultur entsteht nicht durch Appelle – sondern durch konsequentes Führungshandeln:
- Klarheit schaffen: Wer arbeitet mit wem, wofür, nach welchen Spielregeln?
- Verhalten sichtbar machen: Wo tritt Revierdenken auf – und was macht es mit dem Team?
- Anreize setzen: Wird Zusammenarbeit wirklich belohnt – oder zahlt sich Egoismus mehr aus?
- Moderieren: Konflikte ansprechen, Gemeinsamkeiten herausarbeiten, Perspektivwechsel ermöglichen.
- Verbindlichkeit stärken: Ziele und Rollen regelmäßig synchronisieren, Verantwortung klar benennen und teilen.
Führungskräfte, die diese Hebel bewusst nutzen, verändern nach und nach die Kultur ihrer Teams – nicht durch Kontrolle, sondern durch Haltung und Konsequenz.
Acht konkrete Tipps für den Führungsalltag
- Team-Landkarte erstellen: Wer hat welche Zuständigkeiten, Schnittstellen, Rollen? Visualisieren Sie gemeinsam, was oft nur implizit vorhanden ist.
- Grenzerfahrungen thematisieren: Fragen Sie im Team: Wo erleben wir Grenzen als hilfreich, wo als hinderlich?
- Feedback fördern: Etablieren Sie Formate, in denen Feedback zur Zusammenarbeit regelmäßig und sicher geäußert werden kann.
- Verantwortung gemeinsam klären: Was bedeutet „gemeinsam Verantwortung tragen“ konkret in Ihrem Team?
- Kooperationsvorbilder sichtbar machen: Wer lebt bereits teamorientiertes Verhalten vor? Machen Sie es zum Thema.
- Rollenwechsel initiieren: Lassen Sie Mitarbeitende in moderierten Workshops die Perspektive anderer Abteilungen einnehmen.
- Schnittstellen bewusst gestalten: Definieren Sie klare Übergabepunkte und Verantwortlichkeiten für reibungslose Zusammenarbeit.
- Erfolge sichtbar machen: Feiern Sie gelungene Kooperation – öffentlich, authentisch und nachvollziehbar.
Fazit: Von der Reviergrenze zum Miteinander
Revierdenken verschwindet nicht über Nacht – aber es lässt sich verändern. Mit Klarheit, Mut und systematischer Führungsgestaltung entstehen Räume, in denen Vertrauen, Offenheit und echte Zusammenarbeit wachsen können.
Und genau das macht am Ende den Unterschied – zwischen Durchschnitt und echter Teamleistung. Führung bedeutet hier nicht Reparatur, sondern bewusste Gestaltung. Was brauchen Ihre Teams, um ihre Grenzen zu öffnen – und ihr Potenzial gemeinsam zu entfalten?