Vielfalt nutzen – oder verschenken?
Warum unterschiedliche Bildungswege in Ihrem Team über Erfolg oder Konflikt entscheiden
Viele Führungskräfte unterschätzen, wie stark schulische Bildungswege das Denken, Handeln und die Zusammenarbeit im Team prägen. Dabei liegt genau hier ein ungenutzter Schatz – aber auch ein echtes Risiko: In einem meiner Workshops berichtete eine Führungskraft von wiederkehrenden Spannungen zwischen Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Bildungswegen – die eine Seite wünschte sich klare Anweisungen, die andere erwartete mehr Eigeninitiative. Ohne gezielte Moderation eskalierte das in gegenseitige Vorwürfe und Demotivation. Wer als Führungskraft weiß, wie er diese Unterschiedlichkeit produktiv macht, stärkt nicht nur die Performance seines Teams – sondern auch die eigene Wirksamkeit.
Warum Sie das als Führungskraft interessieren sollte
In Ihrer Führungsrolle arbeiten Sie mit Menschen, die ganz unterschiedliche Prägungen mitbringen – nicht nur durch Berufserfahrung, sondern bereits durch ihre schulische Ausbildung. Ob Abitur, Realschule, Hauptschule, berufliches Gymnasium oder ein internationaler Schulabschluss: Jeder Weg hinterlässt Spuren in der Denkweise, der Selbstorganisation und der Herangehensweise an Probleme.
Und genau deshalb lohnt es sich, einmal genauer hinzusehen:
- Wer bringt analytische Stärke mit?
- Wer hat eine hohe Praxisorientierung?
- Wer denkt in Systemen, wer in konkreten Abläufen?
Schulformen und typische Kompetenzprofile
Natürlich sind Menschen individuell – aber es gibt einige typische Tendenzen:
- Abiturient:innen sind oft geübt im analytischen Denken, im Umgang mit komplexen Texten und abstrakten Konzepten. Sie tun sich leicht mit strategischem Denken, müssen jedoch häufig lernen, Dinge auch pragmatisch umzusetzen.
- Realschulabsolvent:innen haben häufig eine stärkere Praxisorientierung und bringen früh erste berufliche Erfahrungen mit. Ihre Lösungswege sind oft handlungsnah und direkt umsetzbar.
- Hauptschulabsolvent:innen sind in der Regel früh ins Berufsleben gestartet. Viele bringen eine hohe Belastbarkeit, Pragmatismus und wertvolle Erfahrungsintelligenz mit. Sie profitieren besonders von klarer Struktur, Wertschätzung und einer stabilen Führungskultur.
- Berufsschulabgänger:innen sind oft sehr selbstorganisiert, weil sie früh im Arbeitsleben stehen und Beruf und Schule parallel bewältigen mussten.
- Fachabiturient:innen und Schüler:innen beruflicher Schulen sind meist besonders stark darin, Theorie und Praxis zu verbinden.
Was bedeutet das für Ihre Führungsarbeit konkret?
- Anerkennen statt vergleichen:Wer sich auf akademische Laufbahnen fokussiert, verkennt oft das Potenzial praktischer Intelligenz. Ihre Aufgabe: Unterschiedliche Stärken sehen und gezielt einsetzen.
- Erwartungen klären:Nicht jeder Mitarbeitende bringt dieselbe Selbstorganisation oder Ausdrucksfähigkeit mit. Klare Kommunikation und gezielte Förderung wirken hier Wunder.
- Teams gezielt zusammensetzen:Achten Sie auf eine Mischung – analytische, strukturierende und pragmatisch handelnde Teammitglieder bringen gemeinsam die besten Ergebnisse.
- Individuelle Förderung:Lernen Sie Ihre Mitarbeitenden besser kennen – z. B. über biografische Interviews oder Reflektionsgespräche. Oft zeigt sich dabei ein ganz neuer Blick auf vermeintlich „schwächere“ Teammitglieder.
Beispiele aus meiner Praxis: Wenn Unterschiede sichtbar werden
Projektbesprechung mit gemischtem Team
Ein interdisziplinäres Projektteam eines mittelständischen Unternehmens startet mit einer Besprechung zur Aufgabenverteilung.
- Die Abiturientin im Team möchte zuerst eine SWOT-Analyse zum Projektkontext durchführen, bevor operative Schritte geplant werden.
- Der Hauptschulabsolvent bringt direkt Vorschläge, wie man das Kundenproblem ganz konkret lösen könnte – mit Bezug auf frühere Erfahrungen.
- Ein Realschüler fragt nach dem Zeitplan und bietet an, ein erstes Konzept zu visualisieren, um Klarheit in die Diskussion zu bringen.
Was zeigt sich? Jeder hat eine wertvolle Perspektive – aber nur wenn Raum für alle ist, entsteht ein echter Dialog. In der Moderation solcher Meetings sollte die Führungskraft bewusst auf diese Vielfalt achten – und sie gezielt aktivieren.
Rollenkonflikt bei der Prozessoptimierung
In einem Workshop zur Prozessoptimierung kam es zu einem Rollenkonflikt zwischen zwei Kollegen. Der eine – Abiturient mit BWL-Studium – hinterfragte die bestehende Struktur aus theoretischer Sicht. Die andere – gelernte Anlagenmechanikerin mit Hauptschulabschluss – fühlte sich dadurch abgewertet, da sie diesen Prozess über Jahre mitgestaltet hatte. Erst durch ein moderiertes Gespräch wurde deutlich, dass beide Seiten recht hatten: Der eine aus methodischer Sicht, die andere aus praktischer Erfahrung. Das Ergebnis war ein neuer Prozessvorschlag – fundiert UND realistisch umsetzbar.
Teamentwicklung mit Fokus auf Bildungsbiografien
In einem Teamentwicklungsprozess eines Kunden aus der Logistikbranche ließen wir die Teilnehmenden ihre Bildungs- und Lernbiografie visualisieren. Das führte zu überraschenden Aha-Momenten: Eine Mitarbeiterin mit Realschulabschluss erzählte von ihrer Selbständigkeit im Alter von 19, ein Mitarbeiter mit Studienhintergrund wurde als zurückhaltend in Entscheidungen wahrgenommen. Erst durch die Sichtbarkeit der jeweiligen Lebenswege entstand ein gegenseitiges Verständnis – und der Boden für mehr Vertrauen.
Konfliktpotenzial: Wenn Vielfalt nicht geführt wird
Unterschiedliche Bildungswege bringen nicht nur Chancen, sondern bergen auch Risiken:
- Kommunikationsstile prallen aufeinander – abstrakt vs. direkt, theoriegeleitet vs. erfahrungsbasiert.
- Arbeitsstile geraten in Konflikt – strukturorientiert vs. ergebnisgetrieben, planend vs. spontan.
- Wertvorstellungen und Selbstbilder klaffen auseinander – was der eine als Engagement sieht, empfindet die andere als Aktionismus.
Wenn diese Unterschiede nicht thematisiert und moderiert werden, entstehen stille Konflikte, Frust oder sogar Rückzug. Das bedeutet: Bildungsvielfalt ist kein Selbstläufer – sie verlangt aktive Führungsarbeit, klares Erwartungsmanagement und die Fähigkeit, Brücken zu bauen.
Fazit – Ihr Führungsvorteil durch Bildungsvielfalt
Bildungsvielfalt ist kein Störfaktor, sondern ein Schatz – sofern man ihn zu heben weiß. Wenn Sie als Führungskraft lernen, die Prägungen unterschiedlicher Bildungswege zu erkennen und gezielt in Ihre Führungsarbeit einzubauen, heben Sie Ihr Team auf ein neues Level. Sie fördern individuelle Stärken, reduzieren Konflikte – und schaffen die Basis für echte Hochleistung.