Worte im Führungskräfte-Coaching
Wie Ihre Sprache bestimmt, ob Mitarbeitende wachsen oder stagnieren
Neulich in einem Führungskräfte-Coaching erzählte mir eine Teilnehmerin folgende Situation: Sie hatte einem Kollegen im Team gesagt, er sei unorganisiert. Später reflektierte sie, dass diese Aussage ihn sichtlich demotiviert hatte. Hätte sie gesagt, er habe sich in diesem Projekt unorganisiert verhalten, wäre die Botschaft dieselbe gewesen – aber mit der Chance auf Veränderung.
Was für eine kraftvolle Wirkung in einem kleinen Unterschied liegt! Die Art und Weise, wie wir als Führungskräfte über unsere Mitarbeitenden sprechen und denken, prägt nicht nur unsere Kommunikation, sondern auch das Entwicklungspotenzial unserer Teams. Worte schaffen Wirklichkeit – und sie entscheiden darüber, ob wir Menschen als lernfähig erleben oder ob wir sie in gedanklichen Schubladen einsperren.
Ein ähnliches Beispiel begegnet mir oft in meiner Arbeit mit Führungskräften:
„Mein Mitarbeiter ist ungeschickt.“ vs. „Mein Mitarbeiter verhält sich ungeschickt.“
Klingt ähnlich, oder? Und doch liegt in dieser Differenz ein gewaltiger Unterschied. Denn die erste Aussage ist ein Urteil über das Wesen eines Menschen. Sie wirkt wie ein Etikett: fest, starr und unveränderlich. Wer „ist“, scheint nicht anders sein zu können.
Die zweite Aussage hingegen lässt Spielraum: Sie beschreibt ein Verhalten – etwas, das sich kontextabhängig ändern kann. Und genau hier beginnt der Raum für Entwicklung, Feedback und Lernen. Verhalten ist prinzipiell veränderbar – und das ist die Basis jeder guten Führung.
Psychologischer Hintergrund: Konstruktion von Wirklichkeit
Wie wir über Menschen sprechen, beeinflusst unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Der systemisch-konstruktivistische Ansatz geht davon aus, dass Wirklichkeit nicht objektiv gegeben ist, sondern subjektiv konstruiert wird. Wenn ich denke: „Er ist ungeschickt“, werde ich Beweise für diese Sichtweise finden. Mein Gehirn filtert Informationen entsprechend dieses Rahmens.
Sprich: Unsere Zuschreibungen wirken wie eine Brille. Ein Beispiel: Wenn eine Führungskraft einen Mitarbeitenden für „nicht belastbar“ hält, wird sie bei jeder Überforderung denken: „War ja klar.“ Dass dieser Mitarbeitende vor einer Woche ein komplexes Projekt erfolgreich gestemmt hat, bleibt dann unter dem Radar. Unsere innere Haltung bestimmt, worauf wir achten – und was wir übersehen. Wenn wir jemanden als „nicht teamfähig“ abstempeln, werden wir alle Indizien, die das Gegenteil zeigen, übersehen oder abwerten. Diese Selbstbestätigungsschleife wird in der kognitiven Verhaltenstherapie als „confirmation bias“ beschrieben. Einmal getroffene Urteile bestätigen sich durch selektive Wahrnehmung immer wieder selbst – und werden damit zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Das gilt auch für unser Selbstbild. Mitarbeitende, die regelmäßig hören, sie „seien“ etwas Bestimmtes, verinnerlichen diese Aussagen schnell. Aus „du bist unzuverlässig“ wird dann ein innerer Glaubenssatz, der Entwicklung blockiert.
Die Macht der Sprache im Führungsalltag
In Feedbackgesprächen, Meetings oder alltäglichen Gesprächen mit Mitarbeitenden wirkt unsere Sprache wie ein Verstärker. Ein „Du bist …“ löst schnell Widerstand oder Resignation aus. Ein „Du verhältst dich …“ öffnet den Dialog für Reflexion, Veränderung und Entwicklung.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Mitarbeiter und Ihr Vorgesetzter sagt zu Ihnen:
- „Du bist unstrukturiert.“
- „Du verhältst dich in dieser Situation unstrukturiert.“
Welche Aussage würde Sie motivieren, etwas zu verändern?
Unsere Wortwahl ist also nicht nur Stilfrage – sie ist ein Führungsinstrument. Sie entscheidet darüber, ob Menschen sich weiterentwickeln oder innerlich abschalten. Wenn wir als Führungskräfte die Perspektive wechseln – weg vom statischen Urteil, hin zur beschreibenden Beobachtung – entsteht ein Raum für Entwicklung und Selbstwirksamkeit.
Reflexionsfragen für Führungskräfte
Reflexion ist der erste Schritt zu bewusster Führung. Wer sich selbst beobachtet, entdeckt eigene Denk- und Sprachmuster – und kann sie gezielt verändern. Die folgenden Fragen helfen dabei:
- Welche Zuschreibungen benutze ich über meine Mitarbeitenden?
- Wo neige ich dazu, Menschen Eigenschaften zuzuschreiben, statt ihr Verhalten zu betrachten?
- Welche Etiketten tauchen in meinem inneren Dialog über Kolleginnen und Kollegen häufig auf?
- Wie würde sich meine Kommunikation ändern, wenn ich mich bewusst auf das Verhalten fokussiere?
- In welchen Situationen kann ich konkret Feedback so formulieren, dass es Entwicklung ermöglicht?
- Wie reagiere ich selbst auf Zuschreibungen? Was hilft mir, in solchen Momenten offen zu bleiben?
Praktische Tipps für den Alltag
- Sprache beobachten: Achten Sie in der nächsten Woche bewusst auf Ihre Formulierungen: Sagen Sie „ist“ oder „verhält sich“? Führen Sie ein kleines Sprach-Tagebuch oder tauschen Sie sich im Team dazu aus.
- Feedback formulieren: Verwenden Sie konkrete Beobachtungen. Statt: „Du bist nicht zuverlässig“, sagen Sie: „Mir ist aufgefallen, dass die letzten drei Abgaben verspätet waren.“
- Zukunftsorientiert sprechen: Lenken Sie Gespräche auf mögliche Verhaltensalternativen: „Was könnten Sie tun, um die Abgabefristen besser einzuhalten?“ Damit aktivieren Sie die Lösungskompetenz des Gegenübers.
- Ressourcen aktivieren: Fragen Sie: „Wann ist es Ihnen schon einmal gelungen, besonders strukturiert zu arbeiten? Was hat Ihnen dabei geholfen?“ So verknüpfen Sie Feedback mit vorhandenen Stärken.
- Reflexion im Team anregen: Machen Sie Zuschreibungen zum Thema. Diskutieren Sie im Führungsteam oder in Workshops, wie Sprache Entwicklung fördern oder blockieren kann.
Ein Perspektivwechsel mit großer Wirkung
Wenn wir unsere Sprache reflektieren und bewusst verändern, schaffen wir als Führungskräfte ein neues Klima für Entwicklung. Die bisherigen Tipps – präzise Beobachtungen formulieren, ressourcenorientiert sprechen und Feedback zukunftsgerichtet gestalten – zeigen: Mit kleinen sprachlichen Verschiebungen können wir große Wirkung erzielen.
Unsere Haltung und unsere Sprache sind eng miteinander verknüpft. Wer Menschen als lern- und entwicklungsfähig betrachtet, wird auch eine Sprache finden, die fördert statt zu verurteilen. Wer sich hingegen unbewusst in Etikettierungen verliert, läuft Gefahr, Entwicklung zu verhindern, noch bevor sie begonnen hat.
Führung bedeutet Verantwortung – auch für das sprachliche Klima im Team. Je bewusster wir unsere Sprache gestalten, desto mehr schaffen wir ein Umfeld, in dem sich Menschen zeigen, ausprobieren und wachsen dürfen.
Mein Fazit
Führung beginnt im Denken. Wenn wir anfangen, unsere Wahrnehmung und Sprache zu reflektieren, öffnen wir die Tür zu einer anderen Kultur der Zusammenarbeit. Einer Kultur, in der Entwicklung möglich ist, weil wir Menschen nicht auf Eigenschaften reduzieren, sondern sie in ihrer Fähigkeit zu Veränderung sehen.
Ich freue mich darauf, Führungskräfte auf diesem Weg weiter zu begleiten – mit Workshops, Coachings und inspirierenden Gesprächen.