Vier Generationen, vier Erwartungen – eine Führungsaufgabe

Warum generationengerechte Führung heute entscheidend ist

In vielen Unternehmen arbeiten heute vier Generationen unter einem Dach: Babyboomer, Generation X, Generation Y (Millennials) und Generation Z. Jede dieser Generationen bringt eigene Werte, Kommunikationsstile und Erwartungen an Führung mit – geprägt durch historische Ereignisse, technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen.

Neulich in einem meiner Workshops: Ein erfahrener Abteilungsleiter Anfang 60 erzählt von seiner Karriere in einem Konzern, bei dem Pünktlichkeit und Disziplin oberstes Gebot waren. Zwei Plätze weiter sitzt eine junge Projektleiterin aus der Gen Y, die sich fragt, warum für jede Entscheidung drei Unterschriften nötig sind. Und ein Azubi aus der Gen Z? Der möchte wissen, ob man im Team auch über mentale Gesundheit sprechen darf. Solche Momente zeigen: Führung heute bedeutet mehr als klare Ansagen – sie verlangt echtes Verstehen.

Diese Szenen wiederholen sich in vielen Organisationen, die ich begleite. Führung wird heute nicht nur an Ergebnissen gemessen, sondern auch an der Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven zusammenzubringen. In generationengemischten Teams kommt es dabei immer wieder zu Spannungen – aber auch zu großem Potenzial für Entwicklung.

Führungskräfte stehen damit vor einer besonderen Aufgabe: Sie müssen generationengerecht führen – das heißt, sie sollten sowohl ihre eigene Prägung reflektieren als auch die unterschiedlichen Erwartungen ihrer Mitarbeitenden verstehen und in der täglichen Führungspraxis berücksichtigen. Was heißt das konkret im Führungsalltag? Schauen wir genauer hin.


Die Generationen im Überblick

GenerationGeburtsjahre (ca.)Alter im Jahr 2025Typische Bezeichnung
Babyboomer1946–1964ca. 61–79 JahreWirtschaftswunder, Wohlstand
Generation X1965–1980ca. 45–60 Jahre„Zwischen den Stühlen“, Pragmatiker
Generation Y1981–1996ca. 29–44 JahreMillennials, Digital Natives
Generation Z1997–2012ca. 13–28 JahreSocial Media, Werteorientiert

Tipp: Diese Tabelle biete ich in Workshops auch als Grafik oder Handout an – gern stelle ich sie Ihnen zur Verfügung. Manchmal lasse ich die Teilnehmenden schätzen, welcher Jahrgang zu welcher Generation gehört – das sorgt für spannende Aha-Momente. Hier ist die Tabelle als Download


Führungsperspektive: Was ist diesen Generationen wichtig?

Babyboomer

Als Führungskraft:

  • Stark leistungs- und zielorientiert
  • Glauben an Hierarchien und Erfahrung
  • Führungsstil: direktiv, klar, autoritativ geprägt

Als Mitarbeitende:

  • Erwarten Anerkennung für ihre Erfahrung
  • Schätzen Stabilität, Loyalität und klare Regeln
  • Wertschätzen persönliche Gespräche und klassische Kommunikation (z. B. Telefon, persönliche Meetings)

Beispiel aus dem Workshop: Eine Babyboomer-Führungskraft erzählt: „Ich musste mich früher auch durchbeißen – warum sollte das heute anders sein?“ Im Team stößt diese Haltung auf Unverständnis – besonders bei den Jüngeren, die Feedback und Unterstützung statt Härte erwarten.

Ein weiteres Beispiel: In einem Gespräch mit einem Babyboomer-Teamleiter wurde deutlich, wie sehr er die Bindung über gemeinsame Routinen schätzt – das morgendliche Gespräch beim Kaffee war für ihn mehr als nur Smalltalk, sondern ein wichtiges Führungsinstrument.


Generation X

Als Führungskraft:

  • Eher pragmatisch und realistisch
  • Wollen Kontrolle, aber auch Flexibilität
  • Delegieren Verantwortung, erwarten aber Verlässlichkeit

Als Mitarbeitende:

  • Wünschen sich Feedback, aber bitte nicht zu häufig
  • Schätzen Work-Life-Balance
  • Reagieren empfindlich auf Mikromanagement

Beispiel aus dem Workshop: Ein Teilnehmer der Gen X sagt: „Ich will einfach in Ruhe meinen Job machen, ohne jeden Tag neu zu diskutieren, ob wir remote oder hybrid oder mit Hund im Büro arbeiten.“ Eine klare Haltung – die in agilen Teams manchmal als starr empfunden wird.

In Feedbackrunden mit Gen X-Führungskräften wird oft deutlich: Sie möchten moderne Methoden anwenden, sind aber skeptisch gegenüber „Buzzwords“ oder allzu idealistischen Innovationsansätzen. Was zählt, ist, ob es in der Praxis funktioniert.


Generation Y (Millennials)

Als Führungskraft:

  • Wollen Sinn vermitteln und gemeinsam gestalten
  • Legen Wert auf offene Kommunikation und flache Hierarchien
  • Arbeiten lieber im Team als im Einzelkampf

Als Mitarbeitende:

  • Erwarten Sinnhaftigkeit in der Arbeit
  • Wünschen sich Entwicklungsmöglichkeiten und regelmäßiges Feedback
  • Schätzen digitale Tools und flexible Arbeitsmodelle

Beispiel aus dem Workshop: Eine Millennial-Führungskraft berichtet: „Ich frage mein Team regelmäßig, wie es ihnen geht – das wurde mir anfangs als Schwäche ausgelegt.“ Dabei ist genau das ein zentrales Bedürfnis vieler Mitarbeitender dieser Generation: gesehen und gehört zu werden.

In einem anderen Fall berichtete ein Millennial-Teilnehmer, dass er eine Führungsposition abgelehnt habe, weil sie zu stark auf Kontrolle ausgerichtet war. „Ich will nicht überwachen, ich will entwickeln.“ Dieser Haltung begegnet man häufig – und sie kann enorme Kräfte freisetzen, wenn sie richtig eingebunden wird.


Generation Z

Als Führungskraft: (Noch selten in Führungsrollen, aber zunehmend sichtbar)

  • Agieren stark wertebasiert
  • Kombinieren digitale Kompetenz mit kritischer Haltung gegenüber Autoritäten
  • Fordern Offenheit und Transparenz

Als Mitarbeitende:

  • Erwarten Mitbestimmung, Individualität und Feedback auf Augenhöhe
  • Denken projektorientiert statt karriereorientiert
  • Suchen nach emotionaler Sicherheit im Team

Beispiel aus dem Workshop: Eine Führungskraft berichtet von einem Azubi, der gleich in der ersten Woche fragt, wie oft es Feedback gibt, ob es ein Nachhaltigkeitskonzept gibt – und ob der Bereich Diversity auch in der Abteilung gelebt wird. Erstes Staunen – dann eine spannende Diskussion über Unternehmenskultur.

Ein weiterer Impuls kam von einer Praktikantin, die in der ersten Woche fragte, ob sie eigene Ideen zur Kundenkommunikation beisteuern dürfe – das Unternehmen hatte gerade einen Social-Media-Kanal aufgebaut. Ihre Offenheit wurde zunächst als forsch wahrgenommen, später aber als wertvoller Innovationsimpuls gewürdigt.


Fazit: Wer führen will, muss verstehen wollen

Führung über Generationen hinweg bedeutet nicht, sich zu verbiegen oder allen alles recht zu machen. Es bedeutet, aufmerksam hinzuschauen:

  • Wie ticke ich selbst – und warum?
  • Was braucht mein Gegenüber – und wie kann ich das ermöglichen?

Die Kunst generationengerechter Führung liegt in der Balance zwischen Klarheit, Vertrauen, individueller Ansprache und einem gemeinsamen Werteverständnis. Wer das versteht, schafft nicht nur ein produktives Arbeitsumfeld, sondern auch eine Unternehmenskultur, in der sich alle Generationen gesehen fühlen.

Ich lade Sie ein, sich selbst und Ihr Team durch diese Brille zu betrachten: Welche unausgesprochenen Erwartungen existieren? Wo entsteht Reibung – und welches Entwicklungspotenzial liegt genau darin?

Welche Generation hat Sie am meisten überrascht? Und welche Erkenntnis nehmen Sie für Ihre eigene Führung mit?