Teamentwicklung verstehen – Teil 1

Phase „Forming“ bewusst gestalten

Wenn ein neues Team entsteht, beginnt alles mit der Phase, die Bruce Tuckman in seinem bekannten Modell „Forming“ genannt hat. Es ist die erste und oft entscheidende Etappe auf dem Weg zu echter Zusammenarbeit. In diesem Beitrag schauen wir genauer hin: Was passiert in dieser Phase? Welche Rolle spielt die Führungskraft? Und wie lässt sich der Start bewusst gestalten?

Der Anfang eines Teams prägt das Vertrauen, die Dynamik und die Kommunikationskultur für alle folgenden Phasen – ein starkes Fundament, das spätere Entwicklungen maßgeblich beeinflusst.

Orientierung, Beobachtung und (Fried-)Höflichkeit

In der Forming-Phase tasten sich die Teammitglieder vorsichtig aneinander heran. Nicht selten herrscht dabei eine Atmosphäre, die ich mit einem Augenzwinkern gerne als Phase der „(Fried-)Höflichkeit“ bezeichne – freundlich, aber auch auffallend still, fast so ruhig wie auf einem Friedhof. Alle sind bemüht, bloß nichts falsch zu machen und niemandem auf die Füße zu treten. Es herrscht Höflichkeit, Zurückhaltung und ein hoher Bedarf an Sicherheit. Die Rollen sind noch unklar, ebenso wie die gegenseitigen Erwartungen.

Viele Teammitglieder beobachten erst einmal – und fragen sich innerlich: „Wem kann ich vertrauen? Wer hat hier das Sagen? Und wie sicher ist es, meine Meinung zu sagen?“ In einem meiner Workshops formulierte ein Teilnehmer es sehr treffend: „Ich habe die ersten zwei Wochen fast nur geschaut, wie andere sich verhalten – einfach um nicht anzuecken.“ Diese Zurückhaltung ist typisch für die Forming-Phase und zeigt, wie wichtig es ist, Sicherheit und Orientierung von Beginn an aktiv zu fördern.

Typische Merkmale dieser Phase:

  • Die Kommunikation ist eher oberflächlich und vorsichtig
  • Unsicherheit und Beobachtung bestimmen das Verhalten
  • Fragen wie „Was wird von mir erwartet?“ oder „Wie verhalte ich mich hier richtig?“ sind allgegenwärtig
  • Teammitglieder wollen möglichst keine Fehler machen
  • Status, Zugehörigkeit und Akzeptanz sind zentrale innere Themen

Diese Phase ist sensibel und entscheidend: Sie legt den Grundstein für die weitere Entwicklung. Gerade deshalb ist es so wichtig, wie sie begleitet wird – denn Unsicherheit, die zu lange bestehen bleibt, führt leicht zu Missverständnissen, Rückzug oder einem künstlichen Harmoniebild, das echte Zusammenarbeit verhindert.

Die Rolle der Führungskraft: Struktur geben und Sicherheit schaffen

In der Forming-Phase ist die Führungskraft besonders gefragt. Ihre Aufgabe ist es, den Rahmen zu setzen und Orientierung zu geben. Es geht darum, Sicherheit zu schaffen, Vertrauen aufzubauen und erste gemeinsame Erfahrungen zu ermöglichen. Besonders wichtig ist eine Balance aus klarer Struktur und offener Kommunikation – die Führungskraft wirkt wie ein Leuchtturm, der Richtung gibt, ohne zu dominieren.

Hilfreiche Impulse der Führungskraft:

  • Klare Kommunikation der Ziele und Erwartungen
  • Vorstellung von Rollen, Aufgaben und Schnittstellen
  • Moderation von ersten Begegnungen und Austauschformaten
  • Schaffen eines Rahmens für informellen Austausch (z. B. Kick-off-Meeting, Onboarding-Workshop)
  • Persönliche Nahbarkeit zeigen: sich selbst vorstellen, Werte ansprechen, Offenheit leben

Die Haltung der Führungskraft ist dabei entscheidend: präsent, zugewandt und strukturierend. Strukturierend wirkt sie zum Beispiel durch klare Tagesordnungen, regelmäßige Check-ins, transparente Entscheidungen und die Einführung wiederkehrender Austauschformate. Solche Maßnahmen geben dem Team Halt und fördern eine erste Verbindlichkeit im Miteinander. Es geht nicht nur um das „Was“, sondern auch um das „Wie“ der Zusammenarbeit. Wer hier den Ton klug setzt, schafft die Grundlage für ein konstruktives Teamklima.

Praxisbeispiel: Ein neues Projektteam im Maschinenbau

Ein Unternehmen aus dem Maschinenbau stellt ein interdisziplinäres Projektteam für die Entwicklung einer neuen Produktgeneration zusammen. Die Mitarbeitenden kommen aus verschiedenen Abteilungen und Standorten – manche kennen sich flüchtig, andere gar nicht. In der ersten gemeinsamen Sitzung wird schnell deutlich: Niemand weiß so recht, wer die anderen sind, wie das Projekt strukturiert ist und was eigentlich das Ziel ist. Man bleibt höflich, aber zurückhaltend.

Die Projektleitung entscheidet sich für ein strukturiertes Kick-off: Vorstellungsrunden, eine klar visualisierte Projektlandkarte, definierte Kommunikationswege und ein gemeinsames Mittagessen schaffen erste Verbindung und Vertrauen. In den folgenden Wochen etabliert sich ein wöchentliches Stand-up, in dem Fortschritte, Fragen und Impulse besprochen werden. Zusätzlich wird eine digitale Kommunikationsplattform eingerichtet, um Informationen transparent zu teilen. Eine freiwillige „Kaffeepause digital“ pro Woche wird eingeführt – und zu einer beliebten Gelegenheit, sich besser kennenzulernen. Die Projektleitung nimmt selbst regelmäßig daran teil und signalisiert damit: Auch informelle Begegnung ist Teil guter Zusammenarbeit. Diese scheinbar kleinen Gesten stärken das Vertrauen und die Nahbarkeit der Führung.

Nach wenigen Wochen beginnt das Team, sich aktiv einzubringen. Rückfragen werden mutiger, Ideen geäußert, Verantwortung übernommen. Ein gelungener Start in die Teamreise.

Reflexionsfragen für Führungskräfte

  • Wie sorge ich dafür, dass sich neue Teammitglieder schnell orientieren können?
  • Habe ich klare Erwartungen formuliert – oder sind manche Dinge (noch) implizit?
  • Wie sichtbar bin ich als Führungskraft in dieser Phase?
  • Welche Räume für Begegnung und Austausch habe ich geschaffen?
  • Wie bewusst spreche ich über Rollen, Erwartungen und den gemeinsamen Auftrag?
  • Welches Bild von Zusammenarbeit möchte ich in dieser frühen Phase vermitteln?

Fazit & Ausblick: Eine Chance für klugen Aufbau

Die Forming-Phase ist der erste Schritt auf dem Weg zu einem leistungsfähigen Team. Sie braucht Aufmerksamkeit, Struktur und eine bewusste Gestaltung. Führungskräfte, die sich in dieser Phase Zeit nehmen und Orientierung geben, legen die Basis für Vertrauen und Verbindlichkeit.

Im nächsten Beitrag dieser Serie geht es um die nächste Phase: Storming – die Phase der Auseinandersetzung, der Reibung und der Rollenklärung. Hier wird es oft emotional: Konflikte brechen auf, Rollen geraten ins Wanken, unausgesprochene Erwartungen treffen auf Realität. Ich zeige, wie Führung in dieser Phase stabilisierend und klärend wirken kann – und warum genau diese Phase das größte Entwicklungspotenzial birgt. Dort zeigt sich, wie tragfähig das Fundament wirklich ist.