Teamphase 2 – „Storming“
Wenn aus Spannung Entwicklung wird
Nach der ersten höflich-distanzierten Phase wird es ernst: In der Storming-Phase geraten unausgesprochene Erwartungen, Werte und Rollenbilder aneinander. Aus der freundlichen Oberfläche können Reibungen, Konflikte oder sogar Konfrontationen entstehen. Ein typisches Beispiel: Zwei Teammitglieder haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine Aufgabe angegangen werden soll – statt dies offen zu besprechen, entstehen Spannungen, weil jeder stillschweigend vom eigenen Vorgehen ausgeht. Die freundliche Fassade beginnt zu bröckeln, sobald Absprachen fehlen und Erwartungen auseinanderdriften. Genau das macht diese Phase so wertvoll – wenn sie gut begleitet wird. Denn ohne Auseinandersetzung keine Entwicklung.
Was passiert im Storming?
In dieser Phase werden Unterschiede sichtbar: im Arbeitsstil, in der Kommunikation, in den Ansprüchen und im Selbstverständnis. Ich spreche deshalb auch gerne von der „Nahkampf-Phase“: Die Masken fallen, die freundliche Zurückhaltung aus der Forming-Phase wird abgelegt, und Konflikte treten offen zutage. Das kann intensiv sein – ist aber oft notwendig, damit ein echtes Miteinander entstehen kann.
Viele Teams erleben diese Phase als anstrengend oder unangenehm. Gleichzeitig ist es der Moment, in dem echte Zusammenarbeit beginnt. Denn dort, wo Reibung entsteht, liegt auch Energie für Entwicklung. Unterschiedliche Erwartungen, Kommunikationsstile oder Werte prallen aufeinander – und schaffen die Grundlage für Klärung, Wachstum und Integration.
Typische Merkmale dieser Phase:
- Konflikte über Ziele, Rollen oder Vorgehensweisen
- Offene oder unterschwellige Spannungen zwischen einzelnen Mitgliedern
- Unklarheiten über Zuständigkeiten oder Entscheidungsprozesse
- Widerstand gegenüber Führung oder Teamentscheidungen
- Gruppenbildung, Abgrenzung oder Cliquenbildung
- Zynismus, Sarkasmus oder Rückzug einzelner Personen
Nicht jedes Team muss lautstarke Auseinandersetzungen erleben – oft äußert sich Storming auch leise: Während einige Teams offen über Konflikte diskutieren und Spannungen sichtbar machen, zeigen sich Spannungen in anderen Teams eher indirekt – etwa durch ironische Kommentare, sarkastische Bemerkungen oder ein Rückzug in die Passivität. Beide Formen sind Ausdruck derselben Dynamik – sie brauchen jedoch unterschiedliche Zugänge zur Klärung. Entscheidend ist, ob das Team den Mut findet, das anzusprechen, was unter der Oberfläche schwelt.
Die Rolle der Führungskraft: Präsenz, Klärung und Haltung
In keiner anderen Phase ist die Führungskraft so sehr als Haltungsvorbild gefragt wie im Storming. Nicht um Konflikte zu vermeiden, sondern um sie konstruktiv zu begleiten. Die Kunst besteht darin, Spannungen nicht zu unterdrücken, sondern sichtbar zu machen – ohne zu überfordern.
Wichtige Aufgaben der Führungskraft:
- Unterschiedliche Sichtweisen sichtbar machen und benennen
- Spannungen moderieren, ohne sie vorschnell zu glätten
- Rollenklarheit herstellen und Verantwortung klären
- Feedbackprozesse ermöglichen und aktiv anregen
- Emotionen zulassen, ohne ins Persönliche abzurutschen
- Selbst Vorbild für Klarheit, Offenheit und Reflexion sein
Führungskräfte, die in dieser Phase präsent, erreichbar und souverän agieren, schaffen Vertrauen und Orientierung. Sie ermöglichen es dem Team, den notwendigen Reifungsschritt zu gehen – von höflichem Nebeneinander zu einem belastbaren Miteinander.
Besonders hilfreich ist es, in dieser Phase mit Ritualen zu arbeiten: In einem meiner Workshops mit einem Produktionsteam wurde beispielsweise eine wöchentliche „Klärungsrunde“ eingeführt. Jedes Teammitglied hatte die Möglichkeit, in einem festen, strukturierten Format Rückmeldungen zu geben, offene Fragen anzusprechen oder Unstimmigkeiten direkt zu thematisieren – ohne Unterbrechung, mit Redezeit und Zuhörpflicht. Nach anfänglicher Skepsis wurde dieses Ritual schnell zu einem verlässlichen Ort für emotionale Entlastung und Klärung.
Weitere sinnvolle Rituale sind kurze Retrospektiven, Check-ins mit Gefühlslagen, moderierte Konfliktgespräche oder Visualisierungen von Erwartungen. Auch das bewusste Ansprechen der Dynamik („Ich spüre Spannungen – lasst uns dem Raum geben“) kann klärend wirken.
Praxisbeispiel: Ein eingespieltes Team in neuer Zusammensetzung
Ein Vertriebsteam wird umstrukturiert – zwei neue Kolleg:innen kommen hinzu, eine bisherige Teamleitung wird Teil des Teams, nun ohne Führungsverantwortung. In den ersten Meetings herrscht oberflächliche Einigkeit. Doch nach wenigen Wochen zeigen sich Reibungspunkte: Alte Gewohnheiten treffen auf neue Ideen, Zuständigkeiten sind unklar, persönliche Befindlichkeiten schwelen unter der Oberfläche.
Die neue Teamleitung spürt, dass Spannung im Raum liegt – etwa durch gereizte Zwischenbemerkungen, nachlassende Beteiligung in Meetings und kleine Sticheleien im Ton. Um dieser Entwicklung aktiv zu begegnen, entscheidet sie sich für ein moderiertes Teammeeting. Gemeinsam werden Erwartungen ausgesprochen, Konflikte benannt und neue Vereinbarungen getroffen. Besonders hilfreich: eine strukturierte Übung zur Rollenerwartung. Jedes Teammitglied formuliert schriftlich: „Was ich von dir brauche, um gut arbeiten zu können.“
Der offene Austausch sorgt für spürbare Entlastung. Einige unausgesprochene Missverständnisse werden geklärt, neue Absprachen getroffen. Die Teamleitung betont, dass diese Konflikte kein Zeichen von Schwäche, sondern Teil des Weges zu echter Zusammenarbeit sind. „Nur Teams, die sich auch streiten dürfen, können sich wirklich entwickeln,“ sagt sie abschließend – ein Satz, der hängen bleibt und das Bewusstsein für offene Kommunikation stärkt. Das stärkt die Reflexionsfähigkeit – und das Vertrauen.
Reflexionsfragen für Führungskräfte
- Welche Konflikte zeigen sich gerade in meinem Team – offen oder verdeckt?
- Wie gehe ich persönlich mit Spannungen um: ziehe ich mich zurück, gehe ich in Konfrontation, oder bleibe ich im Dialog?
- Habe ich meinem Team Raum für ehrliche Auseinandersetzung gegeben?
- Sind Rollen, Aufgaben und Entscheidungsprozesse transparent?
- Wie trage ich selbst zu Klarheit, Sicherheit und Dialogkultur bei?
- Welches Verhalten dulde ich – auch wenn es dem Teamklima schadet?
Fazit & Ausblick: Reibung schafft Verbindung
Die Storming-Phase ist nicht einfach – aber unverzichtbar. Hier zeigt sich, wie belastbar das Fundament aus der Forming-Phase wirklich ist. Wer als Führungskraft Konflikte nicht scheut, sondern offen begleitet, schafft Raum für Klärung, Vertrauen und neue Stabilität.
Der Weg zu echter Zusammenarbeit führt durch Spannungen hindurch – nicht um sie herum.
Im nächsten Beitrag dieser Serie geht es um die dritte Phase: Norming – wenn das Team beginnt, seine Regeln und Formen der Zusammenarbeit bewusst zu gestalten, aus Konflikten lernt und eine stabile gemeinsame Basis entwickelt.