Persönlichkeitsmodelle in Führungskräftetrainings und Teamentwicklungen
Zwischen Klarheit und Klischee
Ein Plädoyer für den bewussten und kontextbezogenen Einsatz statt dogmatischer Anwendung
Was Persönlichkeitsmodelle versprechen
Persönlichkeitsmodelle wie MBTI, DISG, Big Five oder das Riemann-Thomann-Modell begegnen uns in nahezu jeder Führungskräfte- oder Teamentwicklung. Sie bieten Struktur in der Vielfalt menschlicher Verhaltensweisen, machen Unterschiede greifbar und geben Teams und Führungskräften eine Sprache, um über sich selbst und andere zu reflektieren. Gerade in dynamischen Arbeitskontexten, in denen Zusammenarbeit über Funktionen und Kulturen hinweg gelingt oder scheitert, ist das eine wertvolle Unterstützung.
Das große Aber: Wenn die Typologie zur Brille wird
So hilfreich diese Modelle im ersten Schritt sein können, so problematisch ist ihre Überhöhung. Ich erlebe es in der Praxis immer wieder: Führungskräfte – und leider auch Trainer und Coaches – die ein einziges Modell verinnerlicht haben und nun jede Interaktion durch diesen Filter betrachten. Menschen werden dann zu Farben, Buchstaben oder Typen. Komplexe Persönlichkeiten und situatives Verhalten rücken in den Hintergrund.
Das birgt Risiken:
- Reduktion statt Erweiterung: Die Realität wird vereinfacht, statt sie differenziert zu betrachten.
- Fixierung statt Entwicklung: Persönlichkeitsmerkmale werden als statisch interpretiert, obwohl Entwicklung, Kontext und Rolle zentrale Faktoren für wirksames Handeln sind.
- Fehlanwendung: Ein Modell wird auf Situationen angewendet, für die es gar nicht gedacht ist – ohne Ziel, ohne Sinn, ohne Nutzen.
Ein Negativbeispiel: Wenn Modelle zum Dogma werden
In einem Unternehmen, das ich später im Rahmen eines Change-Prozesses begleitete, hatte man sich für einen radikalen Einsatz eines Persönlichkeitsmodells entschieden: Alle Führungskräfte und Fachspezialisten wurden standardisiert typisiert. Die Ergebnisse – in Form farblicher Zuordnungen – wurden anschließend sichtbar gemacht: auf Namensschildern, Kleidung, Bürotüren und sogar in E-Mail-Signaturen.
Was ursprünglich als Impuls zur besseren Kommunikation gedacht war, wurde zur sozialen Etikettierung. Interaktionen wurden nicht mehr offen geführt, sondern überinterpretiert: „Klar reagiert sie so – ist ja eine Rote.“ Wer sich nicht entsprechend seiner Farbe verhielt, galt als unstimmig oder unauthentisch. Es entstand ein Klima der Zuschreibung, nicht des Dialogs. Die Folgen: weniger Offenheit, mehr Misstrauen – und eine Zusammenarbeit, die von Vorurteilen statt von echtem Verstehen geprägt war.
Der entscheidende Unterschied: Kontext vor Modell
In meinen Trainings und Workshops setze ich Persönlichkeitsmodelle situativ ein – nie als Selbstzweck. Entscheidend ist für mich immer die Frage: Wofür genau brauchen wir das Modell? Geht es um Selbstreflexion, Teamverständnis, Konfliktklärung, Führungssensibilisierung oder Kommunikation?
Erst wenn das Ziel klar ist, wähle ich ein Modell aus, das auf dieses Ziel einzahlt – und verbinde es mit einem klaren methodischen Rahmen. Dabei ist mir wichtig: Das Modell dient uns, nicht umgekehrt. Es liefert Impulse, keine Wahrheiten. Es eröffnet Dialoge, keine Schubladen.
Ein Beispiel aus der Praxis
In einem Workshop mit einer crossfunktionalen Projektgruppe zeigte sich ein hoher Reibungsverlust – Kommunikationsprobleme, Missverständnisse, fehlendes Vertrauen. Statt sofort mit einem Typenmodell zu arbeiten, analysierten wir zunächst die konkreten Dynamiken im Team. Erst in einem zweiten Schritt führten wir das Riemann-Thomann-Modell ein – nicht zur Typisierung, sondern als Denkmodell, um Verhaltenstendenzen besser zu verstehen und die eigenen blinden Flecken zu erkennen.
Das Ergebnis: Mehr gegenseitiges Verständnis, mehr Offenheit und deutlich bessere Teamleistung. Das Modell half – aber eben nur im richtigen Kontext und mit einer klaren Zielsetzung.
Fazit: Persönlichkeitsmodelle – Werkzeug, kein Weltbild
Persönlichkeitsmodelle können eine wertvolle Hilfe sein – wenn sie reflektiert, zielgerichtet und im richtigen Moment eingesetzt werden. Sie laden zur Selbstreflexion und zum Perspektivwechsel ein. Doch sie dürfen nicht zur alleinigen Deutungsbrille werden. Denn Menschen und Teams sind mehr als ihre Typologien. Sie sind lebendig, dynamisch, widersprüchlich – und genau darin liegt ihr Potenzial.
Meine Empfehlung: Nutzen Sie Persönlichkeitsmodelle als Impuls, nicht als Dogma. Hinterfragen Sie deren Relevanz für Ihre Fragestellung. Und behalten Sie stets die individuelle Realität Ihrer Führungssituation im Blick.